Interview zum Thema Burnout und Depression: Chronisch ausgepowert? Was Sie jetzt tun sollten und wissen müssen

Viele Menschen fühlen sich mit dem Alltag zunehmend überfordert. Die letzten Monate haben - nicht zuletzt aufgrund der Pandemie - sicherlich nicht nur sensible oder ohnehin schon stark belastete Menschen regelrecht aus der Bahn geworfen. Die psychischen Belastungen scheinen zuzunehmen. Doch wie erkenne ich, ob ich lediglich überfordert bin oder in eine Depression abgleite? Was kann ich tun, um ein Burnout zu vermeiden? Fragen, die wir Jenny Güler, Diplom-Psychologin und Mitarbeiterin in der psychosozialen Beratung der hkk, gestellt haben.

Frau Güler, wie erkenne ich, ob ich lediglich überlastet bin oder bereits Burnout habe?

Das ist nicht immer leicht abzugrenzen. Jeder von uns kennt Situationen, in denen man sich überlastet und gestresst fühlt, sei es beruflich oder im familiären Umfeld. Normalerweise gelingt es nach einer stressigen Phase, einen Ausgleich zu finden und durch Erholungsphasen wieder runterzukommen - beispielsweise durch Freizeitaktivitäten, das Wochenende oder durch Urlaub/Auszeit. Wenn man jedoch über einen längeren Zeitraum hohen Belastungen ausgesetzt ist und kaum Erholungsphasen vorhanden sind, können sukzessive gesundheitliche Beschwerden entstehen. Vor allem, wenn es nicht mehr gelingt einen Ausgleich zu schaffen und Ruhephasen nicht mehr den gewünschten Erholungseffekt bringen. Das kann zu einem Burnout führen. Das heißt grob gesagt, man fühlt sich dann chronisch ausgepowert und ist nicht mehr belastbar.

Dann ist ein Burnout also ein schleichender Prozess?

Ja, meistens stimmt das leider. Dieser Prozess wird daher oft spät bemerkt, weil man bei Dauerstress die trügerische Annahme hat, dass man es schon aus eigener Kraft schaffen wird und auf bessere Zeiten hofft. Wenn man weiter „funktionieren“ möchte und permanent seine persönliche Leistungsgrenze überschreitet, kann man durch ein Burnout im Verlauf sogar in eine schwere Depression fallen. Meist wird, wie gesagt, das Burnout und eine Depression zu spät bemerkt, wenn die Symptome schon fortgeschritten sind und es beispielsweise zu einem psychophysischen Zusammenbruch gekommen ist.

Bei welchen Symptomen sollte ich wachsam sein, weil sie auf eine Depression hinweisen könnten?

Die Symptome können individuell von Mensch zu Mensch variieren und sich in der Intensität unterschiedlich zeigen. Im Alltagserleben werden häufig unter anderem Symptome, wie Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit erlebt. Der oder die Betroffene hat keine Energie mehr, den Alltag zu bewältigen und bei einigen stellt sich eine Perspektivlosigkeit bis hin zu Zukunftsängsten ein. Typisch sind auch Schlafstörungen und/oder ein erhöhtes Bedürfnis nach Schlaf. Manche können das Gedankenkarussell nicht stoppen und haben das Gefühl, ständig unter Strom zu stehen. Auch Konzentrationsschwierigkeiten und Versagensängste fallen unter den Symptomen. Und natürlich auch psychosomatische Beschwerden, wie Rückenschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Kopfschmerzen. In schlimmeren Fällen fühlen sich Betroffene regelrecht ohnmächtig und hilflos – bis hin zu lebensmüden Gedanken. Der Leidensdruck ist bei vielen sehr hoch.

Was kann ein Burnout/eine Depression verursachen?

Die Ursachen können sehr vielschichtig sein. Familiäre Vorbelastungen und gewisse Verhaltensmuster innerhalb des sozialen Umfelds können zu einem erhöhten Risiko führen, in ein Burnout zu geraten bzw. eine Depression zu entwickeln. Wenn unbewusst z.B. sogenannte Grundeinstellungen vorhanden sind, wie „ich bin nur etwas wert, wenn ich immer zu 100% leistungsfähig bin“, „Ich darf keine Fehler machen“, „Ich muss immer stark sein und darf keine Schwächen zeigen“ o.ä., neigt man dazu, durch die eigene hohe Erwartungshaltung sich unter Druck zu setzen. Es kann schwerfallen, sich Ruhephasen zu gönnen. Wenn dann neben den eigenen Belastungsfaktoren noch äußere Belastungsfaktoren hinzukommen, wie kritische Lebensereignisse/Umbruchphasen (Mobbing am Arbeitsplatz, hohes Arbeitsaufkommen, finanzielle Sorgen, Krankheit/Pflege oder Verlust eines Angehörigen etc.), kann es zu erheblichen psychischen Einbrüchen kommen. Die Auswirkungen der Corona-Situation (wie soziale Isolation, Kurz-Arbeit, Homeschooling o.ä.,) können die Belastung zudem verstärken.

Was kann ich tun, wenn ich bei einer Person aus meinem engsten Umfeld (z.B. Partner*in) eine Depression/ein Burnout vermute?

Ich empfehle auf jeden Fall dieses Thema offen anzusprechen und Unterstützung anzubieten. Das ist jedoch nicht immer ganz einfach, denn es setzt ein gewisses Bewusstsein des Gegenübers voraus, dass bereits erste Anzeichen vorliegen. Außerdem kann je nach Ausprägung des Burnouts/Depression das soziale Umfeld stark belastet werden. Wenn eine Unterstützung im sozialen Umfeld nicht mehr gewährleistet werden kann, weil die gesundheitlichen Beschwerden schon fortgeschritten sind, sollte man dem Angehörigen anbieten dabei zu helfen, sich professionelle Unterstützung zu suchen.

Und was mache ich, wenn die Person aus meinem Umfeld nachweislich depressiv ist, sich aber nicht behandeln lässt?

Die wichtigste Grundvoraussetzung ist, dass der Angehörige bereit ist, Hilfen anzunehmen. Wenn noch keine Krankheitseinsicht vorhanden ist, ist es kaum möglich umfassende Unterstützung zu leisten. Der erste Schritt muss immer von der betroffenen Person selbst ausgehen. Wenn die Bereitschaft dafür noch nicht gegeben ist, muss leider, so hart das klingt, abgewartet werden, bis sich der Leidensdruck der betroffenen Person so stark erhöht, dass sie selbst erkennt, dass sie nun Hilfe benötigt.

Was kann ich vorbeugend tun, wenn ich das Gefühl habe, in eine Depression zu fallen?

Das ist individuell unterschiedlich. Im Allgemeinen wird u.a. empfohlen, Sport zu betreiben und sich ausreichend zu bewegen. Spaziergänge an der frischen Luft sind immer hilfreich. Zudem können Entspannungsmethoden ein sehr guter Ausgleich sein. Dabei kann man für sich selbst herausfinden, welche Entspannungsmethoden zu einem passen. Zudem sind Hobbies/Freizeitaktivitäten wichtig, um eine Balance zu schaffen. Es müssen nicht zeitlich umfangreiche Methoden angewandt werden, es reicht auch schon aus z.B. mal für wenige Minuten inne zu halten und durchzuatmen. Soziale Kontakte sollten regelmäßig gepflegt werden. Ich würde auch dringend empfehlen, sich im näheren Umfeld, wenn möglich, jemandem anzuvertrauen.

Welche vorbeugenden Maßnahmen helfen, wenn ich erfolgreich behandelt wurde, um nicht wieder abzugleiten?

In bisherigen Behandlungen wurden Bewältigungsstrategien erlernt, die es gilt, im Alltag zu verfestigen. Im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe wird gelernt, ein sogenanntes Frühwarnsystem zu entwickeln, um einem Rückfall entgegenzuwirken. Diese können je nach Therapieform folgende sein:

  • Selbstfürsorge betreiben
  • Sich abgrenzen, z.B. durch Nein-Sagen
  • Ausreichend Pausen machen
  • Sich Zeit für sich nehmen, auch wenn der Alltag es schwer zulässt
  • Eigene Bedürfnisse bewusster wahrnehmen
  • Gefühle offen ansprechen, auch wenn dies oft von Betroffenen als eine Schwäche angesehen wird
  • Selbstwertgefühl steigern bzw. positives Selbstbild entwickeln z.B. durch Selbstlobe-Übungen
  • Bei Erfolgserlebnissen sich eine Belohnung gönnen (z.B. Eis essen)
  • Tagebuch führen
  • Achtsamkeitsübungen z.B. die Umgebung bewusst genießen und wahrnehmen
  • Unternehmungen mit nächsten Angehörigen machen, der Alltagsroutine entfliehen
  • Sich selbst Mut machen und gut zu sprechen
  • Atemübungen
  • Negative Gedanken identifizieren und in positivere Gedanken umwandeln

Die äußeren Belastungsfaktoren können nicht immer beeinflusst werden. Die eigenen Risikofaktoren, die zu einem Burnout/Depression führen können, wie z.B. sich selbst unter Leistungsdruck zu setzen, können aber durch Bewältigungsstrategien sehr gut kompensiert werden. Dadurch kommt man aus der Passivität/Handlungsunfähigkeit heraus und lernt, am Leben aktiv mitzuwirken.

Wenn jedoch die Depression wieder zunehmen sollte, wird es je nach Schweregrad/Ausprägung der Depression immer schwieriger die Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. In diesem Fall sollte eine professionelle Hilfe hinzugezogen werden, also ein psychiatrischer Facharzt konsultiert und/oder eine ambulante Psychotherapie gesucht werden.

Frau Güler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

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