Interview: So bleiben Sie länger jung

Manche Menschen scheinen deutlich langsamer zu altern als andere – sehen jünger aus, sind fitter und oft auch aktiver als Gleichaltrige. Der Alterungsprozess lässt sich laut Prof. Dr. Sven Voelpel, Altersforscher an der Jacobs University Bremen, deutlich aufhalten. Wir stellten dem Experten Fragen rund um das Altern.

Prof. Dr. Sven Voelpel, jeder Mensch hat neben dem kalendarischen Alter auch ein biologisches. Können Sie uns den Unterschied erklären?

Das ist ganz leicht: Das kalendarische Alter besagt, an welchem Datum wir geboren sind und wie viele Lebensjahre wir schon gelebt haben. Das biologische Alter hingegen ist das Alter unserer Zellen und unseres Körpers.

Letzteres kann tatsächlich sehr stark von unserem kalendarischen Alter abweichen. Denken Sie an einen 60. Geburtstag, bei dem Gäste gleichen Alters eingeladen werden. Diese können wie 45 Jahre oder wie 75 Jahre aussehen.

Wie stark spielen Gene eine Rolle und wie viel Einfluss hat der Lebensstil auf den Alterungsprozess?

Früher dachte man immer, 50 % wäre von den Genen festgelegt. Diese Zahl fällt immer weiter. Derzeit geht die Wissenschaft davon aus, dass lediglich 20-30 % von den Genen vorgegeben sind. Die restlichen 70-80 % haben wir also selbst in der Hand. Darüber hinaus eröffnet sich gerade das Forschungsfeld Epigenetik: Wir können mit unseren Denkweisen, Emotionen und Verhaltensweisen unsere Gene beeinflussen. Das heißt, wir haben noch mehr Einfluss auf den Alterungsprozess als ursprünglich angenommen!

Laut „Jungbrunnenformel“ gibt es sieben Einflussbereiche auf das Alter: Ernährung, Bewegung, Schlaf, Atmung, Entspannung, soziale Kontakte und eine positive Lebenseinstellung. Gibt es Bereiche, die mehr Einfluss haben als andere?

In der Tat können wir durch die Jungbrunnenformel unsere Lebenserwartung signifikant erhöhen. Die Kette reißt bekanntlich am schwächsten Glied. Soll heißen, die einzelnen Jungbrunnenfaktoren, die Sie nennen, beeinflussen sich gegenseitig. Wenn ich mich beispielsweise besser ernähre, benötige ich weniger Schlaf, weil ich viel schneller regeneriert bin. Maßgebend ist eine positive Einstellung, denn daraus ergibt sich die Art, wie wir denken, wie wir fühlen und wie wir handeln.

Wie kann ich denn eine positive Einstellung dauerhaft erreichen, wenn ich von Natur aus nicht unbedingt ein Optimist bin?

Kein Optimist zu sein, ist sogar ganz normal. Evolutionsbiologisch ist unser Gehirn negativ ausgerichtet – in der Wissenschaft sagen wir dazu präventionsorientiert. Das hatte schon immer gute Gründe: Jederzeit kann ein Säbelzahntiger kommen, um uns zu fressen. Eine nicht allzu positive - oder auch vorsichtige - Einstellung war also für uns wichtig, um zu überleben.

Wenn wir unser Gehirn allerdings mit viermal mehr positiven Informationen als negativen füttern, dann wird es auf positiv umprogrammiert. Praktisch kann man dies umsetzen, indem man zum Beispiel zum Einschlafen, und/oder nach dem Aufwachen sich das vorstellt, für das man glücklich und dankbar ist. Nach dem Motto: „Ich bin glücklich und dankbar, dass ich ein warmes Dach über dem Kopf habe, fließendes Wasser, ein Bett, etc.“ Jeder findet sicher ganz einfache Dinge, die wir alle glücklicherweise haben!

Wenn man möchte, kann man dazu auch ein Tagebuch schreiben und zum Beispiel abends vor dem Schlafengehen darin fünf positive Dinge festhalten. Dadurch werden Glückshormone im Körper freigesetzt – man fühlt sich gesünder und leistungsfähiger.

Was gewinne ich statistisch an Jahren, wenn ich eine positive Haltung zum Leben habe?

Allein durch eine positive Einstellung - wenn alle anderen sechs Jungbrunnenfaktoren gleich bleiben - bis zu 7,5 Lebensjahre!

Sie beschreiben, dass soziale Kontakte wichtig sind. Aufgrund von Corona waren diese nur sehr eingeschränkt - wenn überhaupt - möglich. Welchen Einfluss hat diese Zeit auf unsere Lebenserwartung?

Corona kostet uns aufgrund der Pandemie-Einschränkungen bis zu 10 Lebensjahre, denn für die meisten verschlechterten sich die Jungbrunnenfaktoren. Studien zeigen, dass genau die guten Gewohnheiten, die zu den Jungbrunnenfaktoren zählen, während der Pandemie teilweise aufgegeben werden: Viele Menschen haben an Gewicht zugenommen. Erkrankungen wie Krebs sind gestiegen und die häusliche Gewalt hat sehr stark zugenommen. Coaches und Rechtsanwälte haben Hochkonjunktur, nicht nur für den privaten, sondern auch für den beruflichen Alltag. All das beeinflusst unsere Gesundheit negativ und kostet uns Lebensjahre.

Sie selbst integrieren mehr Bewegung in den Alltag, in dem Sie Pausen für Fitnessübungen nutzen. Haben Sie für uns ein Beispiel für eine einfache Übung?

Mein Tipp ist: Bonusfitness, also Bewegung in normale Alltagsabläufe zu integrieren. Das heißt, die Treppe rückwärts statt vorwärts zu laufen oder auf allen vieren. Zur Straßenbahn oder zum Zug zu sprinten, sowie beim Ausräumen der Geschirrspülmaschine Kniebeugen zu machen. Der Klassiker ist: statt Fahrstuhl die Treppen zu nehmen. Sie können auch beim Putzen Tanzen - da gibt es unzählige Möglichkeiten, wie man Bewegung mit Spaß in den Alltag integriert.

Laut Ihres Buches senken regelmäßig sieben Stunden Schlaf das Krebsrisiko erheblich. Können Sie uns das erläutern?

Wenig Schlaf schwächt das Immunsystem. Nachts nutzt der Körper die Zeit für Reparatur- und Reinigungsarbeiten, zu denen er tagsüber nicht – oder nicht ausreichend kommt. Unter anderem werden im Gehirn Schadstoffe ausgeschwemmt und das Immunsystem auf Vordermann gebracht. Man kann sagen, wer Nacht für Nacht gut schläft und sich dabei richtig erholt, ist morgens nicht nur energiegeladen und leistungsfähig, sondern hat auch eine Menge für seine Gesundheit getan.

Die Atmung ist eines der Bereiche, die man optimieren kann. Ist Bauch- oder Brustatmung besser?

Es kommt darauf an, aber in der Regel ist tiefe Bauchatmung am besten - 4 Sekunden ein und 7 Sekunden aus. Durch langsames Atmen wird der Grundumsatz gesenkt, wodurch man länger lebt. Vor allem langes ausatmen hilft dabei, dass unser Blut basisch wird.

Was tun Sie nach einem langen Arbeitstag, um zu entspannen? 

Schlafen! ? Davor aber noch jeweils sehr kurze Entspannungstechniken, wie Entspannungstee, Yoga, Dankbarkeit etc.

Prof. Dr. Voelpel, vielen Dank für das Gespräch!

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