Interview mit dem Bremer Hausarzt und Internisten Dr. Matthias Juricke zu den Vor- und Nachteilen der Videosprechstunde

Seit wann bieten Sie in Ihrer Praxis Videosprechstunden an?

Wir bieten seit Anfang 2020 die Videosprechstunde an, kurz vor der Coronapandemie. In diesem Rahmen wurde sie dann erstmals auch häufiger genutzt.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Videosprechstunde gemacht?

  • Welche Vor- und Nachteile bietet das Format für Sie als Arzt?
  • Was ist für Sie anders als im direkten Austausch mit Patient*innen?
  • Für wen und welchen Behandlungsanlass eignet sich die Videosprechstunde?

Die Vorteile sind, dass man im Unterschied zum Telefonat sehr viel mehr Informationen über den Gesundheitszustand bekommt und einen Patienten auch eindeutig identifizieren kann. Wie beeinträchtigt sieht jemand aus? Kann der Patient nur im Bett liegen? Hauterscheinungen können in einer Videosprechstunde begutachtet werden. Und natürlich gab es während der Coronapandemie die Möglichkeit, isolationspflichtige Patienten trotzdem zu Gesicht zu bekommen. Auch nutzen wir die Videosprechstunde für Hausbesuche oder bei der Betreuung von Pflegeheimen. So können die Medizinischen Fachangestellten bei komplizierteren Fragestellungen den Arzt zuschalten und Entscheidungen können direkt vor Ort getroffen werden. Die MFA führt in der Situation die Untersuchung durch und die Ergebnisse werden in Echtzeit mit dem Arzt in der Praxis geteilt. Die Delegation spart ärztliche Arbeitszeit und lässt uns damit den immer größeren Versorgungsansprüchen gerecht werden.

Natürlich hat eine Videosprechstunde ihre Grenzen. Untersuchungen wie EKG, Lungenfunktionsuntersuchungen und Sonographien können in der Arztpraxis unkomplizierter durchgeführt werden. Und manchmal ist eine ärztliche körperliche Untersuchung vor Ort einfach am aufschlussreichsten. Zudem bekommt man als Arzt schnell einen Gesamteindruck vom Patienten, wenn er das Zimmer betritt oder verlässt. Humpelt jemand? Hat jemand ein schmerzverzerrtes Gesicht bei jedem Schritt? Diese Eindrücke sind in der Videosprechstunde schwieriger zu erlangen. Für ältere Patienten stellen zudem die technischen Notwendigkeiten eine größere Hürde da.

Wie gehen Sie mit dem Thema Digitalisierung in Ihrer Praxis um? Ist dieses Thema bisher vor allem mit erhöhten Mehraufwand in Verbindung zu setzen oder unterstützt es Sie auch im Praxisalltag?

In unserer Praxis nutzen wir neben den gesetzlich vorgeschriebenen Digitalisierungsmaßnahmen wie der eAU insbesondere die Anwendungen, die uns in der täglichen Arbeit unterstützen. Das ist z.B. ein Onlineterminkalender oder unsere Telefonanlage, die es ermöglicht Sprachnachrichten von Patienten direkt als Textnachricht an uns zu verschriftlichen. Der Mensch kann Gelesenes schneller verstehen als Gehörtes. Ebenso arbeiten wir nicht mehr mit Stift und Papier, sondern Unterschriften oder Fragebögen werden direkt auf einem iPad geleistet bzw. ausgefüllt. Das spart Zeit und Papier im Vergleich zum Scannen oder Drucken. Da die Betreuung dieser technischen Lösungen allerdings auch eine Menge Zeit einnimmt, haben wir innerhalb der Praxis einen Informatiker, der sich nur um die Hard- und Software kümmert. Das medizinische Personal wird durch diese Lösungen deutlich entlastet. Auf der anderen Seite macht es aber auch deutlich, dass es eine gut funktionierende digitalisierte Praxis nicht zum Nulltarif gibt.

Wie sieht Ihre Vision einer digital gestützten Behandlung von Patient*innen aus?

Eine funktionierende, unbürokratische ePa wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Man könnte z.B. die Behandlungen ärztlicher Kollegen deutlich besser antizipieren, Medikamenteninteraktionen besser erkennen, Doppelbehandlungen verhindern und letztlich mit den begrenzten Ressourcen im Gesundheitssystem deutlich sachgerechter umgehen und die Behandlungsqualität steigern. In meiner Vision würde der Nutzen der digitalen Anwendung für Patient und Arzt im Vordergrund stehen und Reglementierungen und Datenschutzauflagen würden sich daran orientieren. Leider wird bei vielen Digitaliserungsprojekten häufig andersherum gedacht. Und der direkte Arzt-Patientenkontakt sollte trotz aller technischer Lösungen auch in Zukunft maßgeblich für die Medizin sein.

Nutzungshinweise

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