Vernunft bei Vitaminpillen

Der Mensch ist auf Vitamine und Mineralstoffe angewiesen. Aus diesem Grund gelten auch entsprechende Pillen und Präparate als gesund. Doch zahlreiche Studien bezweifeln den Nutzen – und warnen vor möglichen Gefahren.

Viel hilft viel. Nach diesem Motto scheint manch einer zu verfahren, wenn es darum geht, den Körper mit Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen. Und es klingt ja auch zunächst logisch: Der menschliche Organismus kann bestimmte lebenswichtige Substanzen nicht selbst herstellen – wir müssen sie mit der Nahrung zu uns nehmen. Tun wir das nicht, kommt es zu schwerwiegenden Mangelerkrankungen, z.B. Skorbut bei einem Mangel an Vitamin C, Rachitis bei einem Mangel an Vitamin D.

Der Gedanke liegt also zunächst nahe, Mangelerscheinungen jeglicher Art mit speziellen Pillen und Pülverchen von vornherein auszuschließen. Entsprechend boomt der Markt für so genannte Nahrungsergänzungsmittel. Dabei zeigt die überwiegende Mehrheit der Forschungsergebnisse: Bei gesunden Menschen sind die Präparate im besten Fall wirkungslos – und können eine gesunde Ernährung nicht ersetzen. Und für einige Substanzen gibt es sogar den begründeten Verdacht, dass sie in hoher Dosierung eher schaden als nutzen.

Höheres Krebsrisiko durch Vitamin A?

Großes Aufsehen erregte eine finnische Studie aus den 90er Jahren: Um herauszufinden, inwiefern die Vitamine A und E das Lungenkrebsrisiko bei gefährdeten Personen verringern können, untersuchte man 50 bis 69 Jahre alte Raucher. Eine Teilgruppe erhielt Beta-Carotin, das der Körper in Vitamin A umwandelt. Eine andere Teilgruppe erhielt Vitamin E – und zwei weitere Teilgruppen schließlich ein Kombinationspräparat bzw. ein wirkstoffloses Placebo. Das Erschreckende: Studienteilnehmer, die Beta-Carotin erhalten hatten, erkrankten mit 8 Prozent deutlich häufiger an Lungenkrebs. Und selbst bei der Vitamin-E-Gruppe war das Erkrankungsrisiko mit 2 Prozent leicht erhöht!

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine US-amerikanische Studie an Arbeitern, die Kontakt mit krebserregenden Asbest-Fasern hatten: Die Arbeiter erhielten sowohl Beta-Carotin als auch Vitamin A. Es zeigte sich jedoch, dass bei diesen Studienteilnehmern die Sterblichkeit deutlich zunahm, so dass die Forscher die Untersuchung vorzeitig abbrachen.

Neben diesen besorgniserregenden Studien gibt es zahlreiche weitere Untersuchungen, die letztlich zu dem Ergebnis kommen: Es gibt für gesunde Menschen keinen Grund, regelmäßig zu Vitaminpillen zu greifen. Ein Nutzen lässt sich nicht nachweisen – vielmehr gibt es immer wieder Hinweise, dass es eher zu einer negativen Wirkung kommt. Ein Team um den Wissenschaftler Eliseo Guallar von der Johns Hopkins University in Baltimore kam letztlich zu dem Schluss: Die entsprechenden Präparate sind im wesentlichen Geldverschwendung.

Gefahr der Überdosierung

Hinzu kommt, was vielen nicht bewusst ist: Bei unsachgemäßem Gebrauch von Nahrungsergänzungsmitteln ist sogar eine gefährliche Überdosierung möglich. Bei Vitaminen spricht man dann von einer so genannten Hypervitaminose. Eine der bekanntesten Fälle ist hierbei das Schicksal des Schweizer Polarforschers Xavier Mertz, der 1913 sehr wahrscheinlich während der Douglas-Mawson-Antarktisexpedition an einer Hypervitaminose A starb: Die Expedition geriet in Schwierigkeiten – und den Forschern blieb nichts anderes mehr übrig, als die Grönlandhunde, die als Lastentiere mit dabei waren, zu schlachten und zu verspeisen. Da Mertz offenbar auch die sehr Vitamin-A-reiche Leber der Hunde aß, kam es bei ihm zu den typischen Symptomen der entsprechenden Hypervitaminose: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel. Und das bedeutete in der ohnehin lebensgefährlichen Situation das Todesurteil.

Auch bei Vitamin D ist es in der Vergangenheit schon zu gefährlichen Überdosierungen gekommen: Konkret führt das zu einer viel zu hohen Kalzium-Aufnahme im Darm bei gleichzeitiger Herauslösung des Kalziums aus den Knochen. Das Kalzium kann sich dann in den Blutgefäßen, im Herz, in der Lunge, in Muskeln und Sehnen und insbesondere in den Nieren ablagern. Dadurch droht quasi eine „Verstopfung“ in den Nieren, also letztlich eine Niereninsuffizienz. Vitamin-D-Überdosierungen traten bis in die 60er-Jahre im Rahmen der Rachitis-Prophylaxe bei Säuglingen auf – vor allem, weil man auf die Einzelgabe einer hohen Dosis setzte, also einer Art Stoßtherapie.

Geringes Risiko bei Vitamin C

Vor allem bei fettlöslichen Substanzen – und dazu zählen die Vitamine A und D – ist solch eine Überdosierung möglich, weil sich die Substanzen im Körper anreichern. Bei Vitamin C wiederum ist dies weitaus unwahrscheinlicher. Denn dieses Vitamin ist wasserlöslich. Ein Überschuss im Körper kann daher innerhalb kürzester Zeit mit dem Urin ausgeschieden werden.

Grundsätzlich gilt somit: Bei Nahrungsergänzungsmitteln kann der Ansatz „viel hilft viel“ ausgesprochen kontraproduktiv sein – zumal für gesunde Menschen überhaupt keine Notwendigkeit besteht, zu solchen Pillen und Pülverchen zu greifen. Wer sich vollwertig und abwechslungsreich ernährt, versorgt seinen Körper mit allen lebenswichtigen Substanzen in ausreichender Menge. Dennoch gibt es Situationen, in denen Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein können: Dazu zählen die Schwangerschaft, langwierige Erkrankungen oder bestimmte Stoffwechselstörungen. Es ist jedoch ratsam, sich dabei immer an die ärztliche Empfehlung zu halten.

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